Computergestütztes Lernen

Stand der Technik

Bisher wurden im Zahnmedizinstudium die Lehrinhalte überwiegend durch Vorlesungen und praktische Übungen vermittelt. Die rasche Zunahme des Wissens und die zunehmende Komplexität der Zusammenhänge führen dazu, daß das berufsrelevante Wissen in kurzen Zeiträumen vollständig erneuert werden muß. Ziel der zahnmedizinischen Ausbildung muß daher neben dem Vermitteln der theoretischen und praktischen Kenntnisse des status quo auch die Ausbildung zu eigenständigem Erwerb von Wissen über die universitäre Ausbildung hinaus sein. Dieser Anspruch läßt sich durch gemeinschaftliches Erarbeiten von Problemlösungen in kleinen Gruppen unter der Supervision von Tutoren realisieren.

An der Universität München wird im Rahmen des Münchner Modells anhand von problemorientiertem Lernen bereits erfolgreich auf diese fächerübergreifende, studentenbezogene, aktive Wissensvermittlung aufgebaut. In der Zahnmedizin liegen zu diesem Konzept in der Bundesrepublik keine Erfahrungen vor. Die zahnmedizinische Ausbildung sieht vor, daß die Studenten im 7. Fachsemester erstmals eigenständig am Patienten arbeiten dürfen. Ab diesem Zeitpunkt sind die Studenten mit der gesamten klinischen Problematik (Anamnese, Diagnose, Befund, Therapieplanung und Behandlung) konfrontiert. Neben der individuellen, klinischen Situation des jeweiligen Patienten müssen die Studenten zahlreiche, teilweise rasch wechselnde Restaurationskonzepte mit unterschiedlichen Werkstoffen beherrschen.

Der diesem Semester vorgeschaltete Kurs hat die Aufgabe, an Phantompatienten möglichst viele Aspekte der Patientensituation zu simulieren. Um der komplexen Thematik gerecht zu werden, bietet sich ein Vorgehen im Sinne des “problem-based learning”, das durch Patientenfälle realitätsnah präsentiert werden kann, an. Hinsichtlich der Realisierung des computergestützten, fallorientierten Lernens kann ebenfalls auf Erfahrungen an der Universität München mit den Projekten CASUS und ProMediWeb zurückgegriffen werden. Auf diese Weise kann die erneute, zeit- und kostenintensive Programmierung von Software, die bereits an anderer Stelle verfügbar ist, entfallen.

Die zahnmedizinische Ausbildung muß neben dem theoretischen Wissen auch komplexe, motorische Fähigkeiten vermitteln (z. B. intraorale Operationstechniken, Präparation von Kavitäten zur Versorgung kariösbedingter Läsionen, minimalinvasive Füllungstechniken, endodontische Mikropräparation des Wurzelkanales etc.). Bisher werden diese Techniken entweder live demonstriert, wobei die Problematik besteht, geeignete Fälle vorzubereiten, oder mit Videopräsentationen vorgestellt. Diese Techniken sind streng linear, d. h. man nicht nicht auf Bereiche, die von besonderem Interesse sind, direkt zugreifen, sondern man muß das Video danach durchsuchen. Die Videobänder stehen außerdem nur eine begrenzte Zeit für die Studenten zur Verfügung. Hier würde die computergestützte, multimediale Präsentation einen wesentlichen Vorteil darstellen, da die Studenten über CD-ROM oder einen Intranet-Fileserver die Daten im Sinne von “learning-on-demand” jederzeit abrufen könnten.

Eigene Vorarbeiten

An der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie arbeitet meine Arbeitsgruppe seit Juni 1998 an der Integration von computergestützter Ausbildung in den sogenannten Phantomkurs der Zahnerhaltungskunde. Während dieser Zeit haben wir Analysen hinsichtlich der Hard- und Softwarevoraussetzungen durchgeführt und Konzepte erarbeitet, mit denen eine schrittweise Integration multimedialer Techniken in den Phantomkurs der Zahnerhaltungskunde möglich ist.

Aufgrund der Vorgaben eines Windows-NT4.0-basierten Abteilungsnetzes war die Auswahl der Hard- und Software weitgehend determiniert. Um plattformunabhängig zu sein, haben wir uns für HTML und JAVA als Programmiersprachen entschieden.

In Zusammenarbeit mit einem Industriepartner wurde eine umfangreiche Projektstudie abgeschlossen und publiziert (Kunzelmann, K.-H., Hickel, R. (Hrsg.): Multimedia-CD und Booklet: Proceedings of the 1st International Espe Symposium, Chromedia, München (1998)). Bei diesem Projekt wurden Video, Audio, Text und Dias zeitlich synchronisiert. Durch die Indizierung der Texte können eine Volltextsuche vorgenommen werden und das gefundene Element mit allen 4 Präsentationseinheiten synchronisiert angewählt werden. Die Umsetzung in die Lehre sieht vor, komplexe Vorlesungen, Übungen oder Demonstrationen auf diese Weise im Sinne von “learning-on-demand” indexgesteuert als Wissensbank über einen CD-ROM-Server zur Verfügung zu stellen.

Die Interaktion zwischen Lernendem und Lehrendem kann neben Email auch über ein Videokonferenzsystem erfolgen. An unserer Abteilung wurde zu diesem Zweck ein Netmeeting-Server eingerichtet (rem3.dent.med.uni-muenchen.de). Mit dem Programm Netmeeting, das kostenlos zur Verfügung steht, können die Studenten audiovisuellen Kontakt zum Tutor herstellen.

Ziele, Arbeitsprogramm, Literatur

Das von uns erarbeitete Konzept zur Integration multimedialer Lehrelemente in den Phantomkurs der Zahnerhaltungskunde sieht derzeit drei Stufen vor.

  • Lehreinheiten mit komplexen fachlichen oder technischen Aspekten werden ausgewählt und als interaktive Multimedia-Unterrichtseinheiten in den Unterricht integriert.

    Unter komplexen fachlichen Aspekten verstehen wir theoretische Informationen und Zusammenhänge, die mittels Fotos (z. B. REM-Aufnahmen), Computeranimationen oder vernetzter graphischer Darstellungen besser zu erläutern sind als durch Vorlesungen. Die Haftmechanismen dentaler Werkstoffe (z. B. Dentinadhäsive) lassen sich beispielsweise auf diese Weise wesentlich einprägsamer veranschaulichen.

    Komplexe technische Aspekte sind Behandlungstechniken, die stark von der manuellen oder instrumentellen Arbeitsweise abhängig sind. Als Beispiel sei die Parodontalbehandlung “Wurzelglättung” aufgeführt. Lern- und gleichzeitig Therapieziel ist die vollständige Reinigung der Wurzeloberfläche unter dem Gingivaniveau. Da hier die direkte Sicht verwehrt ist, wird die Wurzeloberfläche mit Spezialinstrumenten (sog. “Gracy-Küretten”) in einer besonderen Arbeitssystematik behandelt. Neben der Kenntnis der Spezialinstrumente müssen bei der Ausbildung die Sitzposition und Lagerung des Patienten, die Arbeitshaltung des Instrumentes und die Arbeitssystematik vermittelt werden. Hierzu eignet sich beispielsweise ein Lehrprogramm mit “split-screen”-Darstellungen, Zoomfunktion und interaktiver Wissenskontrolle.

  • In der Zahnmedizin dürfen die Studierenden bereits ab dem 7. Fachsemester unter Aufsicht therapeutisch tätig werden. Während die Ausbildung in die Bereiche Zahnerhaltungskunde, Prothetik, Kieferorthopädie und Kieferchirurgie unterteilt ist, ist es für die Behandlungsplanung erforderlich, ergänzend zu Anamnese, Diagnose und Befund jeweils alle Aspekte aus den Fachgebieten simultan zur Therapieplanung zu berücksichtigen. Ein zentraler Ausbildungsschwerpunkt ist die Therapieplanung im Rahmen eines interdisziplinären, aufbauenden Konzeptes. Bisher werden bei der Behandlungsplanung durch die kursbetreuenden Ärzte didaktische Schwerpunkte definiert, d. h. die Behandlungsplanung wird vorweggenommen, und der Student wird primär mit den fachrelevanten Fragen konfrontiert.

    Zur Vorbereitung der interdisziplinären Therapieplanung sollen vermehrt Patientenfälle im Sinne des “problem-based learning” realitätsnah präsentiert werden. Hier soll besonders auf die Erfahrungen an der Universität München mit den Projekten CASUS und ProMediWeb zurückgegriffen werden. Im Rahmen der Konzepterarbeitung wurde bereits geklärt, daß die CASUS-Software in der derzeitigen Version nicht verwendet werden kann, da diese für Apple-Computer entwickelt wurde. Nach unserem Kenntnisstand ist jedoch geplant, die Software auf HTML/JAVA zu portieren, so daß für uns redundante Entwicklungsarbeiten entfallen. Hinsichtlich der Dramaturgie der Patientendokumentation können wir uns weitgehend an den im CASUS-Projekt erarbeiteten Regieanweisungen orientieren.

    Das fallorienterte Training soll in kleinen Gruppen an ausgewählten Fällen unter Aufsicht vonTutoren durchgeführt werden. Weitere Fälle sollen für selbständige Übungen bereitgestellt werden. Neben der Sicherheit durch wiederholtes Bearbeiten der verschiedenen klinischen Situationen mit integrierter Lernzielkontrolle soll dieser Teil unseres Projektes die Studierenden in die Lage versetzen, Problemlösungen in kleinen Gruppen (sozialer Aspekt) selbständig zu erarbeiten. Gerade dieser Aspekt ist von besonderer Bedeutung, da z. B. im Bereich der dentalen Werkstoffe innerhalb von wenigen Jahren eine Erneuerung der Produktpalette sowie der Verarbeitungsstrategien zu beobachten ist. Die problemorientierte Ausbildung soll die Studierenden darauf vorbereiten, später in der Praxis eigene Bewertungs- und Informationsstrategien zu entwickeln.

    Als besonderen Schwerpunkt des fallorientierten Trainings betrachten wir die Abstimmung der Behandlungsplanung in einem interdisziplinären Team sowie die Einbindung von interdisziplinären Expertenkommentaren in das Programm, um die Therapieentscheidungen zu erläutern.

    Die Behandlungsplanung stellt einen der schwierigsten Ausbildungsbereiche dar. Im Gegensatz zum traditionellen Ansatz, dies in Vorlesungen und durch Modell-Lernen zu vermitteln, sehen wir bei der computergestützen Präsentation den Vorteil einer einheitlichen Wissensvermittlung für alle Studierenden, wobei jeder Student die Geschwindigkeit des Wissenserwerbes individuell kontrollieren kann.

  • Eine Analyse im Medizinbereich vorhandener CAL- und CBT-Programme zeigt, daß häufig einzelne Themenschwerpunkte didaktisch hervorragend aufbereitet sind. Die interaktiven Navigationselemente führen jedoch oft dazu, daß die Übersicht verloren geht, vor allem dann, wenn eine echte Hypertextstruktur mit zahlreichen vernetzten Hyperlinks gewählt wurde (Stichwort “lost-in-hyperspace”). In unserer Arbeitsgruppe hat sich daher die Auffassung durchgesetzt, daß die verschiedenen Multimedia-Lehreinheiten nicht isoliert, sondern im Kontext eines Manuskriptes bzw. Lehrbuches präsentiert werden sollten.

    Unsere Multimedia-Arbeitsgruppe bemüht sich, hier mit den Entwicklungen in der Medizin Schritt zu halten. Wenn Sie sich über unsere aktuellen Projekte informieren oder sogar mitarbeiten möchten, nehmen Sie bitte mit mir Kontakt auf.

Posted by System Administrator - 25.07.2005