Highlight 2018 - Forschungspreis der AG Keramik
Ich arbeite seit 1988 mit Keramikwerkstoffen, die damals nur als Verblendmaterialkeramiken verfügbar waren. Diese Werkstoffe waren in keiner Weise mit modernen Werkstoffen, wie Lithiumdisilikatkeramik, vergleichbar, funktionierende Dentinadhäsive gabe es noch nicht und auch die Befestigungsmaterialien war nicht für Inlays entwickelt worden. Die ersten Versuche adhäsiver Befestigung wurden beispielsweise mit Nimetic Grip (Espe), einem Material, das für Maryland-Brücken entwickelt worden war, durchgeführt. Bei fast allen Keramikinlays war damals eine Phosphatzementunterfüllung gemacht worden, um das Dentin zu “schützen”.
Aus dieser Anfangszeit adhäsiv befestigter keramischer Seitenzahnversorgungen stammen viele der heute noch empfohlenen Präparationsvorgaben (stumpfe Winkel, abgerundete Innenkonturen, 1.5 mm Schichtstärke, Verzicht auf Federrandpräparation etc.).
Seit über 30 Jahren werden somit Keramikrestaurationen nahezu unverändert präpariert, da sich diese traditionellen Präparationsvorgaben inzwischen über Jahrzehnte bewährt haben. Es ist verständlich, dass weder Hersteller noch Zahnärzte durch Änderung der bewährten Regeln das Risiko einer Fraktur in Kauf nehmen wollen.
Was dabei allerdings nicht ausreichend berücksichtigt wird, ist die Tatsache, dass sich unsere Werkstoffe in den vielen Jahren deutlich verändert, im Idealfall sogar verbessert haben ;-)
Kurz vor seinem Wechsel nach Zürich haben Prof. Mehl und ich bei einem unserer kreativen Espresso-Meetings diskutiert, wann und warum man eine Teilkronen präparieren muss. Ich habe den konvervativen Part vertreten, wonach die Teilkrone dann indiziert sei, wenn ein Höckerkontakt im Bereich der Klebefuge oder auf einem dünnen Höcker liegt. Prof. Mehl hat provoziert und gefragt, ob es nicht besser sei, diesen einen Kontakt minimal wegzuschleifen, bis die Okklufolie nicht mehr zeichnet, als den ganzen Höcker 1.5 mm einzukürzen und so viel mehr Zahnhartsubstanz zu opfern. Ein anderes Mal haben wir uns die Köpfe heiß geredete, warum man überall gleichmäßig eine Schichtdicke von 1.5 mm Keramik fordern muss. Ob es nicht reichen würde, diese Schicht nur in den Bereichen okklusaler Last, also direkt unter einem Höcker anzustreben. Der Rest der Kaufläche, der nicht stark belastet ist, könnte dann viel schonender präpariert werden.
In mehreren Doktorarbeiten (Binn 2009, Schäfer 2014, Schröder 2018) habe ich in den vergangenen Jahren die Fragen, die sich aus diesen Diskussionen ergeben haben, untersuchen lassen, um zu klären, wie weit man mit modernen Werkstoffen die Grenzen verschieben kann. Ein Teil der Ergebnisse wurde inzwischen auch in einem internationalen Journal hochrangig publiziert.
Von der AG Keramik wurde uns 2018 außerdem für weitere Untersuchungen, die diese Aussagen belegen, der Forschungspreis der AG Keramik verliehen:
Dr. Gaetan Schroeder, Prof. Dr. Karlheinz Kunzelmann, Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Universität München:
Einfluss der Präparationsform auf die Überlebenswahrscheinlichkeit von Kau- flächen-Veneers.
Kauflächen-Veneers sind in der Regel indiziert für Bisserhöhungen, für Veränderungen der Bisslage, zur Korrektur der statischen und dynamischen Okklusion. Kriterium ist, dass die betreffenden Zähne kariesfrei sind, die Kauflächen voll ersetzt werden ohne die Extension einer Dreiviertel- oder Vollkrone. Für die Herstellung der okklusalen Veneers eignen sich Glaskeramik sowie die neuerdings verfügbaren, keramikdotierten und fräsbaren CAD-Komposite. Als Mindestschichtstärken für den okklusalen Substanzabtrag für Keramik wurden bisher 1,0 bis 2,0 mm empfohlen, zusammen mit einer zirkulären Stufenpräparation. Die Entwicklung verbesserter Restaurationswerkstoffe und Adhäsivtechniken gaben Anlass zur Untersuchung, ob nicht substanzschonender als bisher präpariert werden kann.
Ziel der Studie war zu prüfen, wie sich die „traditionelle, okklusale Reduktion mit zirkuärer Stufe“ (Stufenpräparation) und die „defektorientierte, minimale Präparation ohne Stufe“ (Non-Präparation) auf die mechanische Belastbarkeit im Kausimulator und auf die Überlebenswahrscheinlichkeit der Kauflächen-Veneers auswirkt. Hierfür wurden Kauflächen-Veneers aus zirkonoxidverstärktem Lithiumsilikat (Celtra Duo, ohne Wärmenachbehandlung; Dentsply Sirona) und aus keramikdotierten CAD-Kompositblocks (CeraSmart, GC) mit Wandstärken von 0,5 mm hergestellt, mit dem Cerec-System gefertigt. Bei allen Zähnen lag okklusal das Dentin frei, nur zirkulär war Schmelz vorhanden (Grad 3 Erosionsdefekte). Die Zahnoberflächen wurden angeätzt und mit Syntac Classic (Ivoclar Vivadent) vorbereitet. Celtra Duo wurde adhäsiv befestigt, CeraSmart wurde sandgestrahlt, silanisiert und ebenso adhäsiv befestigt. Die Proben durchliefen ein Thermocycling und eine Kausimulation mit 1 Million Zyklen. Als Antagonisten dienten Degussit-Kugel (Frialit).
Ergebnisse: Kauflächen-Veneers aus Celtra Duo ohne Präparation zeigten eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 60 Prozent (Kaplan-Meier), die Veneers mit Stufenpräparation 40 Prozent. Die Veneers aus CeraSmart mit Non-Präparation erreichten 95 Prozent, mit Stufenpräparation ebenfalls 95 Prozent. Die Unterschiede aller Proben aus beiden Werkstoffgruppen waren jedoch nicht signifikant. Die Finite-Elemente-Simulation zeigte, dass der Adhäsivverbund die Spannung der Kaukräfte auf den Zahn verteilt. Dabei entstehen keine Spannungsspitzen an den Rändern; somit spielt die Präparationsart keine Rolle. Beim Werkstoff mit hohem E-Modul (Keramik) verteilt sich die Spannung in der Restauration. Bei niedrigem E-Modul (Komposit) werden die Kräfte auf den Verbund und auf den restaurierten Zahn übertragen. Wenn sich Schmelz unterhalb der Restauration befindet, sind die Spannungsunterschiede im Dentin marginal; der Werkstoff spielt dann eine untergeordnete Rolle. Im Dentin sind die Spannungen vergleichsweise höher, wenn Komposit auf Dentin geklebt wird. Zwei Werkstoffe mit hohem E-Modul (Schmelz, Keramik) führen im Befestigungskomposit zu zwei- bis fünfmal höheren Spannungen; hier gleicht das Befestigungsmaterial als Dämpfungselement die Spannungsspitzen aus.
Fazit: Die Präparationsformen (Non-Präp, Stufenpräp) hatten keinen Einfluss auf die mechanische Ermüdung. Damit kann aus Stabilitätsgründen auf die substanzinvasive Stufenpräp verzichtet werden. Entscheidend für das Überleben ist der Restaurationswerkstoff. Die Unterschiede bei deren Überlebenswahrscheinlichkeit waren jedoch nicht signifikant (statistisch unter fünf Prozent-Niveau). Das gute Abschneiden des CAD-Komposits ist mit der viskoelastischen Eigenschaft zu erklären; es verformt sich unter Druck- und Zugbelastung und verbraucht so Energie, die bei Keramik das Risswachstum vorantreiben. Die Risszähigkeit von Celtra Duo lässt sich mit Wärme- behandlung um das 2,5fache steigern. Es zeigte sich, dass Schichtstärken von 0,3 bis 0,5 mm ausreichend sind. FE-Darstellung der Spannungsfelder in Keramik und CAD-Komposit. „Auf Schmelz“: Restauration auf Schmelz geklebt, „Auf Dentin“: okklusal nur auf Dentin geklebt.
Quelle: Schroeder, Kunzelmann Die Autoren bzw. Preisträger: Dr. Gaetan Schroeder Prof. Dr. Karl-Heinz Kunzelmann
Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie der LMU-München
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